Friday, August 9, 2013

DerSpiegel - Karl Blessing - DER BRIEF GILT LEIDER NOCH HEUTE Interview mit Karl Blessing

In seinem Urlaubsort in Südfrankreich starb vergangene Woche Karl Blessing, 71, von 1958 bis 1969 Präsident der Deutschen Bundesbank. Das letzte große Interview vor seinem Tode hatte Blessing dem SPIEGEL-Redakteur Leo Brawand für ein Sachbuch gewährt, das unter dem Titel "Wohin steuert die deutsche Wirtschaft?" im nächsten Herbst im Münchner Verlag Kurt Desch erscheinen wird. Dem Interview ist folgender Auszug über die Inflation entnommen:

FRAGE: Herr Blessing, ist es überhaupt möglich, Vollbeschäftigung, Preisstabilität und ausgeglichene Zahlungsbilanz zur selben Zeit zu haben?

BLESSING: Das ist ein Idealismus der sehr schön ist, aber der in dieser Welt nicht zu verwirklichen ist.

FRAGE: Andere Länder nehmen es mit der Währungsstabilität ohnedies nicht so genau. Sie kennen das Zitat der "Financial Times" in London, es sei immer der deutsche Schütze Schmidt, der falschen Tritt habe?

BLESSING: Ich würde den falschen Tritt in Kauf nehmen und würde ihn immer wieder korrigieren durch eine Änderung der Wechselkurse, So weit bin ich heute.

FRAGE: Das hieße im Idealfall freie Wechselkurse oder sehr große Bandbreiten?

BLESSING: Ich würde keine freien Wechselkurse einführen, sondern ich würde fragen: Wann entsteht ein Zahlungsbilanz-Ungleichgewicht? Wenn ein fundamentales Ungleichgewicht vorliegt, alle zwei oder alle drei Jahr vorliegt, muß man den Mark-Wechselkurs ändern.

FRAGE: Was halten Sie von den Brüsseler Vorschlägen, der Währungsunion in Westeuropa dadurch näherzukommen, daß in einer Übergangszeit von 1971 bis 1973 erstens eine engere Koordination in der Währungspolitik allgemein praktiziert und vor allen Dingen in der Haushaltspolitik ein verbindliches Aufeinander-Abstimmen Vorschrift werden soll?

BLESSING: Das wird ungeheuer schwierig werden, ein sehr schwieriges Unterfangen, Der gute Herr Werner, ich kenne ihn sehr gut, ich habe oft mit ihm zu tun gehabt, ist auch ein Idealist. Wenn sein Plan möglich wäre, wunderbar. Aber die Verhältnisse sind anders. Wie wollen Sie ein nationales Parlament zwingen, bestimmte Dinge zu machen oder nicht zu machen?

FRAGE: Eben, all das hat ja innenpolitisch Wirkungen

BLESSING: ... innenpolitische Wirkungen, die zu anderen Wahlergebnissen führen oder sonst was. Wie kann man das machen? Die Franzosen -- der gute Giscard d'Estaing gilt als Monetarist. Also will er über die Währungen in der EWG vorankommen. Aber wenn es darum geht, Souveränitätsrechte aufzugeben oder zu poolen, dann macht die französische Regierung nicht mit. Wo liegt also da die Logik. Wenn eine Lohnexplosion kommt à la Italien im Herbst 1969 oder à la Frankreich im Mai 1968, wie wollen Sie da eine einheitliche Währung haben, eine Währungsunion? Das ist nur möglich, wenn die ganze Politik bereit ist, auf Souveränitätsrechte zu verzichten und die Souveränität auf eine Zentrale in Brüssel zu übertragen.

FRAGE: An eine zentrale europäische Notenbank?

BLESSING: Ja, wenn man eine europäische Notenbank, ein Federal Reserve System of Europe, gründen würde, das autonom gegenüber den Regierungen ist -- und innerhalb des Systems wären die Regierungen nur in der Lage, bis zu einem gewissen Grad Budget-Defizite zu finanzieren -, dann kann man es hinkriegen.

FRAGE: Es ist ja zu erwarten, daß man den Dollarfluß nach Europa durch das amerikanische chronische Zahlungsdefizit, das mit zu unserer Inflationierung ...

BLESSING: ... in erheblichem Umfang beigetragen hat

FRAGE: ... daß man den Zufluß abbremsen könnte durch den Aufbau einer solchen europäischen Währung, sozusagen als Gegenpol zum Dollar.

BLESSING: Es ist kein Zweifel, wir könnten, wenn wir wirklich den politischen Willen in der EWG hätten, einen Hartwährungsblock bilden, dessen Kurse dann schwanken könnten gegenüber dem Dollar. Damit hätten wir uns abgehängt von dem Dollar-Standard, den wir heute ja haben. Wir haben ja praktisch den Dollar-Standard.

FRAGE: Ja, sicher, Und ist es nicht so, daß wir -- beispielsweise auch Sie in Ihrer Amtszeit und die Bundesbank heute noch -- durch die Aufnahme von amerikanischen Schatzpapieren, durch das Halten großer Dollarbestände und das Nichteinwechseln der Dollar in Gold den Amerikanern erhebliche Schützenhilfe leisten ...

BLESSING: ... und geleistet haben. Ich erkläre Ihnen heute, daß ich mich selber persönlich schuldig fühle auf dem Gebiet. Ich hätte damals rigoroser sein müssen gegenüber Amerika. Die Dollar, die bei uns anfielen, die hätte man einfach rigoros in Gold umtauschen müssen,

FRAGE: Durch das Stillhalten der Notenbanken sind die Amerikaner mit ihrem Dollar nie unter Bewährungszwang gekommen?

BLESSING: Nein, sie sind mit ihrer Währungspolitik nie unter Bewährungszwang geraten. Sie haben uns immer versprühen: Na, im nächsten Jahr wird das anders, im übernächsten Jahr kriegen wir den Etat und alles in Ordnung, wir sind stark. Sie sind auch stark als Wirtschaftsnation. Aber sie haben es nie gebracht, es kam immer was anderes. Da kam der Vietnamkrieg, dann kam der Präsident Johnon mit seiner Finanzpolitik, mit einem 25-Milliarden-Dollar-Budgetdefizit damals in einem Jahr. All das waren die Gründe für die Inflation. Ich habe zu m inen amerikanischen Kollegen oft gesagt: Es geht ja immer weiter bei euch, Dann kam die Geschichte mit den Truppen.

FRAGE: Sie meinen die Drohung der Amerikaner: Wenn ihr den Dollar nicht auf diese Weise stützt, ziehen wir die Truppen aus der Bundesrepublik zurück?

BLESSING: Es war nie eine ausgesprochene Drohung, aber die Drohung war immer im Hintergrund da. Der frühere Hochkommissar McCloy war einmal bei der deutschen Regierung und sagte: Hören Sie mal, wir haben jetzt eine Senatsentscheidung gehabt; da kommt demnächst eine Mehrheit, daß wir unsere Boys zurückziehen. Wir müssen was tun. Da hat er mich an einem Sonntagnachmittag um halb vier zu Hause angerufen und gesagt: "Ich muß heute abend zurückfliegen, können wir uns nicht noch sehen?" Und ich habe ihm gesagt: "Mein lieber McCloy, Ihre Situation ist klar, das ist ein Zahlungsbilanzproblem bei Ihnen, nichts weiter. Sie haben gesehen, daß wir vernünftig sind und nicht unsere Dollar in Gold konvertieren. Ich bin bereit, Ihnen das sogar schriftlich zu geben für eine gewisse Zeit. Der Brief gilt leider heute noch, den ich damals geschrieben habe.

Source: www.spiegel.de/spiegel/print/d-43257718.html

No comments:

Post a Comment